Im britischen Raum ist das Werk von John Boynton Priestley sehr bekannt und wird an Schulen viele gelesen und gespielt. Ich selbst habe das Stück im Englischunterricht kennengelernt, später selbst gespielt und jetzt inszeniert.
In unserer Inszenierungidee wollen wir durchaus die Probleme einer Klassengesellschaft oder die Stellung der Arbeiter oder von Frauen in der Gesellschaft hervorheben. Diese haben sich jedoch im Laufe der Zeit sehr geändert. Der Missbrauch von politischer Macht und Geld ist im Stück all gegenwärtig. Es geht uns aber hauptsächlich um die soziale Verantwortung, die wir alle gegenüber anderen haben. Schon die kleinsten Ungerechtigkeiten können große Auswirkungen haben.
Arthur Birling verhält sich als Unternehmer unverantwortlich indem er keinen gerechten Lohn zahlen möchte. Seine Frau in ihrer Stellung als Vorsitzende des Wohltätigkeitskomitees verweigert Eva Unterstützung, weil der Vater des Kindes dies tun soll obwohl dieser es gar nicht kann. Sheila sorgt als eifersüchtige Kundin dafür, dass Eva entlassen wird, nur weil ihr ein Kleid besser steht. Ihr Bruder Eric als Sexualpartner da er Eva schwängert, ohne Verantwortung dafür übernehmen zu können. Und Gerald sogar zweifach, als Partner in einer Beziehung, da er einerseits Sheila mit Eva betrügt, andererseits seine Geliebte dann nach Gutdünken fallen lässt. Priestley kondensiert die „Moral“ des Stücks im dritten Akt auf einen letzten Aufruf zu mehr sozialer Verantwortung durch Inspektor Goole, bevor dieser die Szene verlässt.
Im Gegensatz zu Priestley Rollenbuch spielen wir auch die Szenen, die normalerweise nur erzählt werden, als Figurenspiel parallel dazu. Der Spieler hat dann zwei Aufgaben: Erstens den Dialog mit den anderen Spielern wie im Rollenbuch, wobei sich die anderen Spieler im Schatten aufhalten. Zweitens spielt der dazu, was damals geschehen ist. Es ist als ob der Zuschauer in die Gedanken des Spielers schaut und hört wie er es erzählt. Beispiel: Die Figuren Eric und Eva liegen im Bett und spielen zärtlich miteinander, während in der Sprache ein harscher Dialog zwischen Eric und seinen Eltern herrscht. Das funktioniert natürlich nur im Figurenspiel, weil sich hier Spieler und Figuren trennen können.
Wir haben die Figuren comic-haft und mit Steampunk-Elementen gestaltet, so dass sie fantasievoller und das Stück weniger altbacken wirkt. Das Ganze wird durch Musik von Hazel O’Connor unterstützt, die mit Liedern in Stil von Punk bzw. New Wave den Leidensweg von Eva Smith begleitet. Das geht so weit, dass wir einen Epilog angehängt haben, in dem wir Eva Smith zu „Danny Boy“ aufbahren, das als Abschluss vom gesamten Ensemble gesungen wird. Wir stellen uns damit eindeutig auf die Seite der Kinder, für die es egal ist, ob es passiert ist oder nicht. Es hätte passieren können und das genügt dass wir und schuldig gemacht haben. Daran müssen wir alle arbeiten.
Wenn wir nun Parallelen zu unserem Leben ziehen, so sehen wir neben den aktuellen Diskussionen um den Mindestlohn und soziale Gerechtigkeit auch die Wiederentdeckung der Menschlichkeit hinter einer Fassade, die wir im Leben nach außen spielen und die wir uns nicht trauen öffentlich zu zeigen.
Premiere 4. Mai 2019
Es spielen: Mimi Banitsch, Wolfgang Hinze, Sonja Pamer, Jürgen Segelbacher, Regina Strobel, Thomas Töpfer, Martina Töpfer-WidmannBühnentechnik: Johannes OerterFiguren & Regie: Andreas BanitschRechte: Drei Masken Verlag München